Kurt R. Grossmanns Besuch in Ludwigsburg am 16. Juni 1959 stand im Kontext dieser Tuchfühlung zwischen Zentraler Stelle und dem World Jewish Congress (WJC). In dem dreistündigen Gespräch trug Schüle einige aktuelle Ermittlungskomplexe vor, allesamt Massenverbrechen der Einsatzgruppen, unter anderem in Litauen, Weißrussland und der Ukraine. Seine Intention war eindeutig: Das Aufklärungsvorhaben hing ganz wesentlich vom Augenzeugenbeweis jüdischer Überlebender ab, die auf der ganzen Welt verstreut waren und, laut Schüle, auf die Anfragen deutscher Staatsanwälte häufig »widerwillig« reagierten. Der international vernetzte WJC war prädestiniert, Überlebende zu finden und als Vertrauensvermittler aufzutreten. Grossmann zeigte sich für das Anliegen des »liebenswürdigen Süddeutschen« überaus empfänglich. In seinem Memorandum forderte er die WJC-Repräsentanten dazu auf: »Dr. Schuele and his stuff are most dedicated to the task and need our utmost assistance.« In diesem Moment schien kein Gedanke aufzukommen, dass diese rein informelle Kooperation einige Hürden in sich barg, die mit den eigenen Interessen und der Agenda des WJC kollidieren könnten, der seit 1943 mit der Gründung des Institutes of Jewish Affaires (IJA) mit der Strafverfolgung von NS-Verbrechen befasst war. Einzig in seinem Artikel im Aufbau deutete Grossmann auf einen heiklen Punkt hin: »Es wäre gewiss unklug hier einzelne in Vorbereitung befindliche Fälle aufzuzeigen. Schüle geht in der Ermittlung neue Wege.«
Besagte »neue Wege« bedeuteten ganz konkret, die Weitergabe von Erkenntnissen aus laufenden Ermittlungsverfahren einer deutschen Justizbehörde an eine nicht staatliche jüdische Organisation, die mit der Suche und Kontaktaufnahme von Zeugen betraut worden war. Das heißt, Schüle wie auch der WJC bewegten sich mit dieser Kooperation in einem sensiblen Graubereich. Im Sommer 1959 nahm der aus Litauen stammende Jurist und Leiter des IJA Nehemia Robinson mit großem Elan für unzählige Verfahren zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen (kurz: NSG-Verfahren) die Zeugensuche für die Zentrale Stelle auf. Im Kontext der angelaufenen Ermittlungen zu Verbrechen im Vernichtungslager Sobibor vermittelte er unter anderem über zwanzig Überlebende aus den USA, Israel, Brasilien und Australien. Im Frühjahr 1962 brach ein erster tiefgreifender Konflikt auf: Schüle warf Robinson aufgebracht vor, dieser würde die Ermittlungen gefährden, weil der WJC Namenslisten von NS-Tätern veröffentlicht habe, die nur aus der gemeinsamen Korrespondenz stammen könnten. Er, Schüle, habe durch die Zusammenarbeit mit »Privatpersonen und privaten Vereinigungen« eine »unorthodoxe Aufklärungsmethode« eingeführt, durch Robinsons unsensiblen Umgang wären nun »die Früchte [seiner] langjährigen und sorgfältigen Kleinarbeit in Gefahr«. Robinson konterte zum wiederholten Male, dass die NS-Täterlisten aus dem seit 1945 zusammengetragenen Dokumentenbestand des WJC stammten und die internationale jüdische Interessenvertretung nicht darauf verzichten werde, ihre Forderungen hinsichtlich der Suche nach NS-Tätern zu veröffentlichen. An der Leitlinie Schüles, die Kooperation Ludwigsburg-New York nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, entspann sich ein Konflikt, der sich in unterschiedlicher Form über Jahre fortsetzen sollte. Eine offene Klarstellung, dass die Zentrale Stelle vor allem bei der Zeugensuche auf die internationale jüdische Organisation angewiesen war, kam für ihn nicht infrage.
Letztendlich ordnete Schüle zumindest innerhalb seiner Behörde halboffiziell die Regelung an, dass die Zusammenarbeit mit dem WJC nicht öffentlich zur Sprache kommen sollte. Die Verschleierungstaktik rückte den WJC ins ominöse Halbdunkel und bildete eine Steilvorlage für die diskreditierenden Angriffe der Verteidiger in den westdeutschen NS-Prozessen. Im großen Sobibor-Prozess in Hagen 1965/66 wurde der internationalen jüdischen Organisation unterstellt, einzelne Zeugen manipuliert beziehungsweise, im antisemitischen Duktus der jüdischen Weltverschwörung, die gesamte jüdische Zeugengruppe gesteuert zu haben. Der von Grossmann enthusiastisch als »[e]in der Sache ergebener Mann« eingeschätzte Erwin Schüle wurde im August 1966 als Leiter der Zentralen Stelle abgelöst. Er war nicht mehr tragbar, nachdem die ostdeutsche Nachrichtenagentur ADN seine Mitgliedschaften in der SA und NSDAP bekannt gegeben hatte. Schüles Strategie, seine wohl eher als Mitläufertum einzuordnende und in den Ministerien längst bekannte NS-Vergangenheit vor der Öffentlichkeit strikt geheim zu halten, hatte ihn zu Fall gebracht.