Mimeo

Blog der Doktorandinnen und
Doktoranden am Dubnow-Institut

Selbstverständnis

von

Mimeo, ein mit einem Mimeografen vervielfältigtes Schriftstück, verweist als Namensgeber des Blogs auf die heute nicht mehr gebräuchliche mechanische Reproduktion von Manuskriptentwürfen. Als vorläufige und in Arbeit befindliche Manuskripte dienten sie einem Verständigungsprozess, den wir im Medium des Blogs aufgreifen wollen. Analogen Begrenzungen enthoben, bietet der Blog die Möglichkeit, einen deutlich weiteren Kreis an Interessierten zu erreichen und langfristig in den Austausch einzubeziehen. So rücken die Diskussion von Momentaufnahmen aus der eigenen Forschung und letztlich die Weiterentwicklung des Gedankens ins Zentrum. Die knappen Texte präsentieren historische Momente, die als Miniaturen auf umfassendere geschichtliche Zusammenhänge verweisen.

Bereits die titelgebende technische Apparatur selbst trägt jenseits ihrer Gegenständlichkeit verdichtete historische Entwicklungen in sich. Im Jahr 1887 ließ Albert Blake Dick eine Erfindung Thomas Edisons, die dieser elf Jahre zuvor noch als »Electric Pen« bezeichnet hatte, unter dem Namen »Mimeograph« für den Vertrieb lizensieren. Mussten mit diesem ersten Gerät noch sämtliche Blätter einzeln reproduziert werden, erfuhr die Vorrichtung durch den aus einer ungarisch-jüdischen Familie stammenden David Gestetner ihre entscheidende Weiterentwicklung. Statt eines Flachbetts nutzte Gestetners Apparat einen rotierenden Zylinder. Bereits 1890 konnte er so 1.200 Kopien pro Stunde herstellen. Gemeinsam mit einem der wohl bekanntesten nordamerikanischen Produktdesigner des 20. Jahrhunderts, dem ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammenden Raymond Loewy, brachte Gestetners Firma 1929 einen modernen Mimeografen auf den Markt, der heute als Vorläufer massentauglicher Fotokopiergeräte gilt.

Gestetner Duplicator, © Courtesy of the Estate of Raymond Loewy.
The duplicator designed in 1929 by Raymond Loewy for the Gestetner Company, © Courtesy of the Estate of Raymond Loewy.

Als materialisierter Augenblick, in Schriftstücken, Gegenständen, Orten oder Bildern, als visuelle oder akustische Dokumente bewahrt, verdichtet sich in solchen historischen Episoden Geschichte. Der Blog widmet sich der Identifizierung, Beschreibung und Ausdeutung von Kontinuitäten und Brüchen, die sich in solchen Momenten manifestieren. Mimeo legt den Schwerpunkt seiner Beiträge auf die Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Die um 1750 beginnende Epoche steht für tiefgreifende Veränderungen, die Staat, Gesellschaft und Denken insgesamt wie auch jüdische Erfahrungen im Speziellen prägten und die oftmals unter dem Begriff Moderne gefasst werden. Dabei handelt es sich insbesondere um Phänomene der Säkularisierung, des Aufbrechens von vormals als statisch erachteten Grenzen, Zugehörigkeiten und Selbstverständnissen. Sie stellten Menschen vor neue Herausforderungen, etwa vor die Frage der Selbstverortung in einer Welt, in der Vorstellungen einer sakral begründeten Ordnung zunehmend an Bedeutung verloren. Von räumlich und zeitlich variierender Auswirkung brachten diese Entwicklungen einen radikalen Wandel des Verhältnisses von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont für den Einzelnen, aber auch hinsichtlich politischer Gebilde und des historischen Denkens insgesamt mit sich. Vor diesem Hintergrund soll die vergangene Zeit nicht allein aus konservatorischen Gründen eingefangen, sondern auf ihre Bedeutung für die Gegenwart hin befragt werden. Mit dem Blog verbindet sich mithin die Hoffnung, dass die Fähigkeit des historischen Urteilens am Unfertigen und Fragmentarischen sich schärfen lasse und gleichermaßen zur weiteren gedanklichen Vertiefung anregen möge.

Mittels der kleinen Form, des vorgreifenden Ausschnitts aus der eigenen Arbeit soll in den Beiträgen die vielgestaltige Geschichte der Judenheiten in der Moderne beleuchtet werden. Als ein zentraler Ausgangspunkt fungiert dabei die über die Jahrhunderte sich ziehende diasporische Kondition der Juden in den verschiedenen Umgebungsgesellschaften und -kulturen. Über sie kann zum einen der Blick auf die sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Facetten und Entwicklungen in jüdischen Lebenswelten selbst gerichtet werden. Zum anderen aber vermag die Betrachtung der engen Verflechtung von Juden mit ihrer jeweiligen Umwelt den Horizont um jene größeren historischen Bedeutungszusammenhänge zu erweitern, in denen jüdische Geschichte nicht selten als Seismograf des allgemeinen Geschichtsverlaufs aufgefasst werden kann. Dieser Zugang soll in den Blogeinträgen nicht in extenso dargestellt werden, sondern eine Forschungsperspektive andeuten, die in der Gesamtschau der Momentaufnahmen den Blickwinkel von der Marginalie aus entfaltet.

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Titelbild: Anne Brannys, Verweise als Wege (2017), © Anne Brannys, Sammlung Herzogin Anna Amalia Bibliothek/Klassik Siftung Weimar.

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