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Blog der Doktorandinnen und
Doktoranden am Dubnow-Institut

Die falsche Analogie

Der Begriffshistoriker Richard Koebner und das jüdische Palästina

von

Im Monatsblatt der politischen Vereinigung Ihud (Union), die unter der Leitung von Martin Buber und Judah L. Magnes einen bi-nationalen, föderalen Staat in Palästina anstrebte, erschien im Dezember 1945 ein bemerkenswerter Artikel des Jerusalemer Historikers Richard Koebner (1885–1958). Koebner, der in seiner Geburtsstadt Breslau mittelalterliche Geschichte gelehrt hatte, war infolge seiner Entlassung durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1934 nach Jerusalem emigriert und hatte dort die Professur für allgemeine neuere Geschichte inne. In seiner zunächst auf Hebräisch publizierten und 1947 ins Englische übertragenen Intervention nahm er kritisch Stellung zur damals im Jischuw weit verbreiteten Meinung, wonach die Verhältnisse im Mandatsgebiet Palästina mit denen der britischen Herrschaft über Irland bis 1921 als »analog« zu werten seien. Mit der Frage nach der Ähnlichkeit der beiden unterschiedlichen historischen Konstellationen griff Koebner eine Problematik von nicht geringer soziopolitischer Sprengkraft auf.

Koebner vermutete hinter der Behauptung einer Analogie zwischen den sehr verschiedenen Schicksalswegen des Mandatsgebiets Palästina und Irlands unter britischer Kontrolle die simplifizierende Gegenüberstellung der emotional aufgeladenen Begriffe »Zionismus« und »Nationalstaat« einerseits sowie »Kolonialismus« und »Imperialismus« andererseits. Für ihn war dies eine übermäßig polarisierende Argumentation, die aufgrund ihrer absehbaren gewaltsamen Folgen unterbunden werden müsse. Eine solche dichotome Verknüpfung von politischen Schlagwörtern lief demnach Gefahr, sich zu einem starren ideologischen Rahmen zu verdichten und damit eine Verständigung der in dieser Weise vorgeblich unversöhnlich gegenübergestellten Konfliktparteien zu erschweren oder gar komplett zu verhindern.

Koebners Ausgangspunkt war seine Arbeit als Historiker, es war sein liberales Geschichtsverständnis. Doch Koebner begegnete dem Problem von absolut gesetzten historischen Analogien keineswegs mit den überkommenen Formeln einer deutschen Geisteswissenschaftstradition, die ohnehin um 1920 unter dem Schlagwort »Historismus« in die Krise geraten waren und selbst zum Krisenmotor wurden. Koebner verwarf vielmehr – entgegen seinem Image als Inbegriff des »Jecken«Die bekannte Figur des Ernst Weltfremd aus S. J. Agnons Roman Schira (hebr. 1971, dt. 1998) wurde etwa mit Koebner assoziiert. – die Grundvorstellung des »Historismus«, wonach jedes Ereignis »unmittelbar zu Gott« (Leopold von Ranke) sei und sich deshalb niemals wiederholen könne: »After all, why should not the causal nexus, on which our theorists insist, repeat itself?«

Richard Koebner, Ireland. The False Analogy, in: Martin Buber/Judah L. Magnes/Ernst Simon (Hgg.), Towards Union in Palestine. Essays on Zionism and Jewish-Arab Cooperation, Jerusalem 1947, 41–50. Zuerst auf Hebräisch: Richard Koebner, Hekesch mufrach [Widerlegte Verknotung], in: Ba’ajot. Bama hodschit le-haie zibbur [Probleme. Monatliches Forum für öffentliches Leben] 3 (1945), H. 4, 174–181.
Richard Koebner, Ireland. The False Analogy, in: Martin Buber/Judah L. Magnes/Ernst Simon (Hgg.), Towards Union in Palestine. Essays on Zionism and Jewish-Arab Cooperation, Jerusalem 1947, 41–50. Zuerst auf Hebräisch: Richard Koebner, Hekesch mufrach [Widerlegte Verknotung], in: Ba’ajot. Bama hodschit le-haie zibbur [Probleme. Monatliches Forum für öffentliches Leben] 3 (1945), H. 4, 174–181.
Richard Koebner, Ireland. The False Analogy, in: Martin Buber/Judah L. Magnes/Ernst Simon (Hgg.), Towards Union in Palestine. Essays on Zionism and Jewish-Arab Cooperation, Jerusalem 1947, 41–50. Zuerst auf Hebräisch: Richard Koebner, Hekesch mufrach [Widerlegte Verknotung], in: Ba’ajot. Bama hodschit le-haie zibbur [Probleme. Monatliches Forum für öffentliches Leben] 3 (1945), H. 4, 174–181.
Richard Koebner, Ireland. The False Analogy, in: Martin Buber/Judah L. Magnes/Ernst Simon (Hgg.), Towards Union in Palestine. Essays on Zionism and Jewish-Arab Cooperation, Jerusalem 1947, 41–50. Zuerst auf Hebräisch: Richard Koebner, Hekesch mufrach [Widerlegte Verknotung], in: Ba’ajot. Bama hodschit le-haie zibbur [Probleme. Monatliches Forum für öffentliches Leben] 3 (1945), H. 4, 174–181.
Richard Koebner, Ireland. The False Analogy, in: Martin Buber/Judah L. Magnes/Ernst Simon (Hgg.), Towards Union in Palestine. Essays on Zionism and Jewish-Arab Cooperation, Jerusalem 1947, 41–50. Zuerst auf Hebräisch: Richard Koebner, Hekesch mufrach [Widerlegte Verknotung], in: Ba’ajot. Bama hodschit le-haie zibbur [Probleme. Monatliches Forum für öffentliches Leben] 3 (1945), H. 4, 174–181.
Richard Koebner, Ireland. The False Analogy, in: Martin Buber/Judah L. Magnes/Ernst Simon (Hgg.), Towards Union in Palestine. Essays on Zionism and Jewish-Arab Cooperation, Jerusalem 1947, 41–50. Zuerst auf Hebräisch: Richard Koebner, Hekesch mufrach [Widerlegte Verknotung], in: Ba’ajot. Bama hodschit le-haie zibbur [Probleme. Monatliches Forum für öffentliches Leben] 3 (1945), H. 4, 174–181.

In diesem Sinne scheute Koebner auch nicht die Methodik des Vergleichs als solche. Durch seinen freundschaftlichen Austausch mit dem Annales-Mitbegründer Marc Bloch war Koebner mit den methodisch-theoretischen Grundüberlegungen der noch jungen Sozialgeschichte vertraut. Und aus diesem Zusammenhang heraus ist auch Koebners Kritik an jenen »falschen Analogien« zu verstehen, die, wie im vorliegenden Fall, sowohl zu wenig empirisch belegt waren als auch zu reduktionistisch und monokausal argumentierten. Mit anderen Worten erweisen sich die oberflächlichen Ähnlichkeiten, die dem Analogieschluss zugrunde liegen, in einem systematisch durchgeführten Vergleich als unzureichend für die Konstruktion von derart weitreichenden Meistererzählungen. Koebner versuchte stattdessen, die Anschlussfähigkeit der geschichtswissenschaftlichen Arbeit zu wahren: an andere empirische Forschungen, aber auch im Sinne einer Berücksichtigung verschiedener Deutungsperspektiven. Jede verkürzende, ideologische Schließung historischer Narrative war somit zu kritisieren. Bereits 1924 hatte Koebner deshalb in Anlehnung an Max Weber erklärt: Der »Erkenntniswert« geschichtswissenschaftlicher Forschung hänge davon ab, »daß sie des Abschlusses in einer historischen Weltanschauung nicht bedarf«.Richard Koebner, Geschichtsphilosophie. Methodologie. Historiographie, in: Jahresberichte der deutschen Geschichte 5 (1922), 2–17, hier 3.

Das Hauptproblem der Gleichsetzung Irlands mit dem Mandatsgebiet Palästina sah Koebner in der ideologisch bedingten Überschätzung der Rolle von Gewalt als Instrument zur Herbeiführung eines unabhängigen Nationalstaats. Wenn überhaupt habe die Gewalt der irischen Nationalisten den Konflikt nur unnötig verlängert, auch wenn die Briten schließlich doch aus dem größeren Teil Irlands abzogen. Ein analog erzwungener Weggang der Briten aus Palästina stünde indes, so glaubte Koebner noch im Dezember 1945, den Interessen des Jischuws entgegen. Denn das irische Vorgehen habe in den späten 1930er Jahren zwei Probleme hervorgebracht, die für den Jischuw in Palästina unbedingt vermieden werden müssten: zum einen das Ende des Schutzes durch das britische »defence system« und zum anderen eine Massenauswanderung als Reaktion auf die Verengung des politischen Meinungsspektrums.

Koebners Warnrufe verhallten ungehört. In zwei »Nachbemerkungen«, die der englischen Übersetzung seines Artikels beigefügt wurden, reagierte er auf die für ihn schmerzliche Erkenntnis, dass sich die Briten aus Palästina endgültig zurückziehen würden. Koebner hatte sich während des Krieges intensiv für das britische Empire eingesetzt und um Verständnis für dessen Politik geworben. Und bereits zuvor, in Deutschland, war er – wiederum im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen – Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei gewesen und hatte im liberalen England sein politisches Vorbild gefunden. Die Begriffe »Empire« und »Imperialismus« standen deshalb nicht zufällig im Zentrum seiner begriffsgeschichtlichen Forschung. In den überstaatlichen und transkulturellen Organisationsformen des Empires oder später der Vereinten Nationen glaubte Koebner zukunftsfähigere Modelle politischer Kooperation gefunden zu haben als in dem stets auch mit gewaltsamer Exklusion verbundenen Nationalstaat. In diesem Sinne stellte der Artikel eine geschichtstheoretisch begründete, politische Intervention dar: Es ist eine Kritik an jenen simplifizierenden Geschichtsnarrativen, die im Dienst einer politischen Überzeugung die geschichtliche Komplexität übermäßig stark reduzieren und in eine dichotome Weltsicht pressen. Auf diese Weise machen sie nicht nur die Verständigung mit dem (politischen) Gegenüber unmöglich, sondern berauben zugleich die Zukunft ihrer Offenheit.

Peter Tietze ist Doktorand am Tübinger Seminar für Zeitgeschichte und zurzeit Gastwissenschaftler an der Universität Stockholm | peter.tietze(at)uni-tuebingen.de

Titelbild: Teil der Titelseite der von Martin Buber, Judah L. Magnes und Ernst Simon herausgegebenen und 1947 in Jerusalem erschienenen Schriftensammlung Towards Union in Palestine. Essays on Zionism and Jewish-Arab Cooperation.

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