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Doktoranden am Dubnow-Institut

Verschwiegene Kritik

Die Ausstellung »Monumenta Judaica« und ihre Fehlstellen

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Auch sechzig Jahre nach der Ausstellung Monumenta Judaica. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein in Köln liest sich der als dritter Teil der Begleitpublikationen herausgegebene Band Fazit als große Erfolgsgeschichte. Darin abgedruckt sind die Eröffnungsreden vom 14. Oktober 1963, Eindrücke derer, die fünf Monate lang Gruppen durch die Ausstellung geführt haben, sowie Berichte über ein Schulklassenprojekt und die Leseecke der Bibliothek Germania Judaica. Der Band schließt mit dem Programm einer Veranstaltung zur Woche der Brüderlichkeit, mit der die Ausstellung am 15. März 1964 zu Ende ging. Aufgrund des Besucherandrangs war sie um einen Monat verlängert worden.

Fotos zeigen die feierliche Eröffnung mit prominenten Besuchern der Ausstellung: Bundespräsident Heinrich Lübke, Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier sowie den Kölner Oberbürgermeister Theo Burauen. Auch namentlich nicht bekannte Gäste sind abgebildet: Ein Vater hebt seinen Sohn hoch, damit dieser in ein Modell der Kölner Mikwe blicken kann, drei ältere Damen lesen, vor einer Vitrine stehend, Urkunden zur rheinischen Wirtschaftsgeschichte, ein Mann betrachtet eine Karte von Europa unter der NS-Herrschaft. Auch historische Exponate sind zu sehen: ein Grabstein aus Worms, eine Chanukkia aus Süddeutschland, ein Thoraschild aus Frankreich. Insgesamt wurden 2238 Objekte in über zweijähriger Vorbereitungszeit in Köln zusammengetragen.

MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, Jg. XXXII, Nr. 7, 14. Februar 1964, 3. Quelle: Compact Memory, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main.
MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, Jg. XXXII, Nr. 7, 14. Februar 1964, 3. Quelle: Compact Memory, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main.
MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, Jg. XXXII, Nr. 7, 14. Februar 1964, 4. Quelle: Compact Memory, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main.
MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, Jg. XXXII, Nr. 7, 14. Februar 1964, 4. Quelle: Compact Memory, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main.
MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, Jg. XXXII, Nr. 7, 14. Februar 1964, 5. Quelle: Compact Memory, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main.
MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, Jg. XXXII, Nr. 7, 14. Februar 1964, 5. Quelle: Compact Memory, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main.
MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, Jg. XXXII, Nr. 7, 14. Februar 1964, 6. Quelle: Compact Memory, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main.
MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, Jg. XXXII, Nr. 7, 14. Februar 1964, 6. Quelle: Compact Memory, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main.

Ein Text des Studienrats und Generalsekretärs der Ausstellung Konrad Schilling sowie ein Beitrag des katholischen Theologen Willehad Paul Eckert, der an der historischen Dokumentation der Schau mitgewirkt hatte, bilden den inhaltlichen Hauptteil des Fazit-Bands. Beide Artikel rahmen einen Pressespiegel mit Auszügen aus der deutschen und internationalen Berichterstattung, die in der Regel voll des Lobes ist. Hierin nicht enthalten sind drei kritische Rezensionen, die im Februar 1964 im Mitteilungsblatt (MB), einer kleinen, in Israel herausgegebenen deutschsprachigen Wochenzeitung abgedruckt wurden. Deswegen können Lesende weder die Seitenhiebe in Schillings Text noch Eckharts Kritik an der Kritik der »Monumenta Judaica« einordnen. Dank eines Digitalisierungsprojekts der Universitätsbibliothek Frankfurt und des Leo Baeck Institute Jerusalem lässt sich diese Fehlstelle heute beheben: Auf dem Portal Compact Memory sind alle Ausgaben des MB online zugänglich. Herausgegeben ab 1932, war das Mitteilungsblatt des Irgun Olej Merkas Europa (Organisation der Einwanderer aus Mitteleuropa) ein wichtiges Medium für viele, die aus dem deutschsprachigen Raum emigrierten, da es sowohl über Ereignisse in Palästina/Israel als auch in Europa berichtete.

Grundlage der Rezensionen im MB war das 820 Seiten starke Handbuch, das begleitend zur Ausstellung erschienen war, sowie der mindestens ebenso dicke Katalog. Die schärfste der drei Kritiken stammte von dem gebürtigen Rheinländer und Historiker Shaul Esh, der als Siebzehnjähriger 1938 vor den Nationalsozialisten nach Palästina geflohen war. Er würdigte zwar den großen Aufwand des Ausstellungsprojekts, stellte jedoch dessen gesamte Konzeption infrage: Hier würden Grenzen verwischt, »die Besonderheit des jüdischen Schicksals« verneint. Konkret kritisierte er, dass die Abteilung Jüdisches Geistesleben am Rhein von den drei historischen Dokumentationen am kleinsten ausgefallen war. Statt jüdische Eigenständigkeit aufzuzeigen, werde ein Schwerpunkt auf Beitrag und Interaktion gelegt. Insbesondere die Sonderschau Die Nachwirkungen des Alten Bundes in der christlichen Kunst habe »nichts in einer Ausstellung über Juden, jüdische Geschichte und jüdisches Leben« zu suchen. Gezeigt wurde hier christliche Kunst des Mittelalters, die sich mit ihren Wurzeln im Judentum auseinandersetzt – teils mit eindeutig antijüdischem Impetus.

Der zweite Beitrag, von einem Autor verfasst, der sich mit –t. –n. abkürzt, ging auf die Darstellung des Zionismus ein und kritisierte, dass jüdische wie nichtjüdische Deutsche je als homogene Gruppen gedacht würden. Der Zionismus erscheine so als einheitliche Bewegung, die ein »deutsches Kulturbewusstsein« pauschal ablehne.

In einer dritten Rezension hinterfragte der in Jerusalem ansässige Kunsthistoriker Heinrich Strauss, der wie Esh aus Deutschland stammte und Anfang der 1930er Jahre nach Palästina eingewandert war, die Ausstellung eines Gemäldes von Philipp Veit, einem zum Katholizismus konvertierten Enkel Moses Mendelssohns. Strauss argumentierte, Veit könne nicht als Vertreter jüdischer Kunst vorgestellt werden: Als Nazarener hatte er zahlreiche Christus- und Mariendarstellungen geschaffen. In Köln zu sehen war sein Bild Die beiden Marien.

Monumenta Judaica. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein. Im Auftrag der Stadt Köln hg. von Kurt Hackenberg, 3. Teil: Fazit, Köln [1965].
Monumenta Judaica. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein. Im Auftrag der Stadt Köln hg. von Kurt Hackenberg, 3. Teil: Fazit, Köln [1965].

Drei Wochen später, am 6. März 1964, druckte das MB eine vierte, positivere Besprechung der Ausstellung. Während die kritischen Rezensionen im Pressespiegel des Fazit-Bands ganz fehlen, ist von diesem Text ein lobender Absatz enthalten. Zudem brachte das MB wiederum eine Woche später, am 13. März 1964, eine Antikritik von Konrad Schilling. Auf Eshs Vorwurf der fehlenden Darstellung jüdischer Eigenständigkeit reagierte Schilling abwehrend: »[K]ein deutscher Besucher [hätte sich] durch diese Stoffbereiche hindurchgefunden.« Zudem verwies er auf den schlechten Forschungsstand, die komplizierte Quellenlage sowie den Mangel an Experten: Für viele Themenbereiche hätte der Arbeitsausschuss unter der Leitung von Theodor Schieder – damals Rektor der Universität Köln und ehemals Mitglied der NSDAP – keine Kenner, insbesondere keine jüdischen Wissenschaftler, finden können. Dies sei »ein erschütternder Beweis für die tiefgreifende Vernichtung des europäischen Judentums,« so Schilling im Fazit-Band. Doch die jüdischen Experten fehlten nicht, sie waren aber, wie Esh und Strauss, nicht mehr in Deutschland. Daraus machte Schilling den drei Kritikern den Vorwurf, eine verzerrte Perspektive zu haben: Von Jerusalem aus könnten sie lediglich die Publikationen, nicht aber die räumliche Gestaltung der Ausstellung beurteilen.

Im Unterschied zum MB, das die drei negativen Besprechungen, den abwägenden Beitrag vom 6. März und die Gegenstellungnahme Schillings druckte, ließ der Fazit-Band nur Raum für die Sichtweise der Ausstellungsmacher. Vielleicht fehlten in Köln auch die Experten, weil es an der Bereitschaft mangelte, eine andere als die eigene Perspektive ernst zu nehmen. Mit dem Ziel, vor allem für Nichtjuden interessant zu sein, integrierte die Schau Monumenta Judaica zwar den Beitrag von Juden in die rheinische und deutsche Geschichte, nicht aber das Leben von Juden am Rhein in die jüdische Geschichte.

Dies zeigt sich noch an einer anderen Stelle: Heinrich Feuchtwanger, der wie Esh und Strauss aus Deutschland stammte und nach 1933 von München nach Palästina geflohen war, stellte aus seiner privaten Judaica-Sammlung zahlreiche Objekte für die Ausstellung zur Verfügung. Er riet Schilling, als Leitmotiv für die Ausstellung die Menora zu verwenden; der ausgewählte Davidstern hätte sich erst sehr viel später als jüdisches Symbol durchgesetzt. Der Generalsekretär präferierte aber den geschnitzten bunten Stern, der auch auf dem Cover des Fazit-Bands zu sehen ist: Schließlich verweise der doppelköpfige Adler in der Mitte auf die »treue Verbundenheit der Judenschaft mit dem alten Deutschen Reich.«

Julia Roos ist verantwortlich für die Wissenschaftskommunikation am Dubnow-Institut. Ihre an der Universität Bamberg entstandene Dissertationsschrift erschien 2018 unter dem Titel »Ausstellungen als öffentliches Ärgernis? Die bundesdeutsche Museumskontroverse der 1970er-Jahre um das Präsentieren von Vergangenheiten« | roos(at)dubnow.de.

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