Das Ende des Zweiten Weltkriegs ging für die alliierten Siegermächte mit zunehmenden Erkenntnissen über die Verbrechen Nazideutschlands einher. Auch der amerikanische Soldat Benjamin B. Ferencz – 1920 in eine ungarisch-jüdische Familie geboren, die bald darauf in die Vereinigten Staaten auswanderte – schrieb eindrücklich in seinen Kriegstagebüchern darüber. Den deutschen Hauptkriegsverbrechern machten die Alliierten schließlich vor dem eigens dafür eingerichteten Internationalen Militärtribunal (IMT) in Nürnberg den Prozess.
Zunehmende Spannungen zwischen den Alliierten angesichts des aufziehenden Kalten Kriegs verhinderten weitere gemeinsame Verfahren, jedoch wurden nach dem Vorbild des IMT zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse unter amerikanischer Direktive abgehalten. Mit dem ehemaligen Soldaten Ferencz ist der Fall IX eng verbunden, der zwischen dem 15. September 1947 und dem 19. April 1948 hochrangige Verantwortliche der NS-Einsatzgruppen zur Rechenschaft zog: Ferencz fungierte dort als Hauptankläger.
Der »Einsatzgruppenprozess« verhandelte insbesondere die systematischen Massenmorde an Jüdinnen und Juden. Denn die Sondereinheiten aus Sicherheitsdienst und SS »were directed to exterminate all Jews, Gypsies, government officials, Communist party leaders, and other so-called ›undesirable elements‹ in their assigned territories.«Military Tribunal. Case No. 9, Closing Statement for the United States of America (13. Feb. 1948), Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 501 XXVI Be 29., S. 2. Damit hatten sich die Beschuldigten, so das Closing Statement der Anklage, der »crimes of genocide and other war crimes and crimes against humanity«Military Tribunal. Case No. 9, Closing Statement for the United States of America (13. Feb. 1948), Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 501 XXVI Be 29., S. 2. schuldig gemacht. Aus heutiger Perspektive wurde damit sowohl die kollektive Verfolgung der Juden anerkannt als auch ein Versuch unternommen, Völkerrechtsverletzungen systematisch gerichtlich zu ahnden.
So populär diese positive Lesart heute ist, so wenig entspricht sie zeitgenössischen Entwicklungen. Nicht nur in der deutschen Gesellschaft, sondern auch in den Vereinigten Staaten wurden die Nürnberger Prozesse bisweilen als »Siegerjustiz« oder gar als »jüdische Rache« diffamiert. Die Begnadigungen vieler verurteilter Kriegsverbrecher durch den amerikanischen Hohen Kommissar John J. McCloy im Winter 1951 schienen diese Deutungen zu stützen. In der Folge versuchte Benjamin Ferencz jahrzehntelang, das negative Bild von Nürnberg – und damit nicht zuletzt seine eigene Rolle – mit einer Vielzahl wissenschaftlicher wie publizistischer Beiträge zu korrigieren. Zugleich machte er sich für die Weiterentwicklung des internationalen Völkerstrafrechts stark. Unterstützung erhielt er unter anderem von Akteurinnen und Akteuren der Friedensbewegung, insbesondere während des Vietnamkriegs, sowie von Juristinnen und Juristen für internationales Recht. Doch noch 1984 stellte Ferencz ernüchtert das Scheitern dieser Ideen in fest:
»Now, the Nuremberg trials haven’t gone anywhere in the history of the development of international law. […] we were trying to make crimes against humanity, this type of genocide, a crime, which was a punishable offense, for which the heads of state and those who were directly responsible would be held accountable. Nuremberg was a step forward in that direction, but Nuremberg has almost been repudiated by the United States. […] You know the public doesn’t know the details. […] They saw this [die Begnadigungen] as a repudiation of the court as being a victor’s court, which it wasn’t.«Transkript von Gesprächen zwischen Benjamin B. Ferencz und John J. McCloy; New York, 24. April 1984, United States Holocaust Memorial Museum RG 12.002.02-12