Die Redakteure der argentinischen Wochenzeitschrift Nueva Sión hatten durchaus gute Gründe, im Dezember 1967 den Mitbegründer der zionistischen Arbeiterbewegung Poale Zion Dov Ber Borochov auf dem Titelblatt zu würdigen. Ein halbes Jahr nach dem arabisch-israelischen Junikrieg gingen die mehrheitlich jungen Autoren der ebenso dezidiert sozialistischen wie zionistischen Publikation ganz offenbar davon aus, in der »sozialistisch-zionistischen Botschaft des Dov Ber Borochov« Antworten auf die für sie drängendsten Gegenwartsfragen gefunden zu haben. Denn diese Botschaft schien einen Weg zu eröffnen, die Unterstützung Israels mit dem von revolutionärem Geist gesättigten Denken der lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen zur Deckung zu bringen.
Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, speziell der systematischen Vertreibung von Jüdinnen und Juden aus dem Ansiedlungsrayon des Russischen Reichs im Juli und August 1915, hatte Borochov (1881–1917) eine theoretische Kehrtwende vollzogen. Noch in der Vorkriegszeit war er in zukunftsfroher Hoffnung davon ausgegangen, die unmittelbar zu erwartende sozialrevolutionäre Umwälzung der Gesellschaft und der darauf folgende Übergang zu einem sozialistischen Gemeinwesen würden auch für die Juden das bislang unabgegoltene Emanzipationsversprechen einlösen. Nach dem Ausbruch des Kriegs sah Borochov seinen Optimismus jedoch enttäuscht. Gerade die sozialistische Bewegung habe zwar emphatisch auf den Begriff der Menschheit rekurriert, letztlich jedoch an ihren eigenen, zumeist nationalen Interessen festgehalten. In seinem Anfang August 1915 verfassten Appell über die Nationale Ohnmacht und die nationale Selbsthilfe hatte er aus dieser Erfahrung heraus formuliert, »uns Juden ist es untersagt, sich auf jemand anderen als uns selbst zu verlassen. Die Befreiung des jüdischen Volkes muss durch das jüdische Volk selbst vollzogen werden.« Wenn die Juden weiterhin auf die Befreiung durch die soziale Revolution warten würden, so spitzte er an anderer Stelle sarkastisch zu, könnten sie in der Zwischenzeit gleich mehrere jüdische Staaten gründen.
Als die argentinische Zeitschrift gut fünfzig Jahre später jene Gedanken Borochovs aufgriff, war der erhoffte jüdische Staat nicht nur bereits Realität geworden. Indem Israel einem bevorstehenden Angriff der arabischen Staaten zuvorgekommen war, hatte es im Juni 1967 seine Existenz unter den Augen der Weltöffentlichkeit wirkungsvoll verteidigt. Ein Umstand, der die Redakteure zweierlei erkennen ließ: »dass das in Israel beheimatete jüdische Volk kein zweites Auschwitz zulassen« werde und »dass der Zionismus daher die einzig verlässliche Garantie für sein Überleben« sei. Kurz nach dem Ende des Kriegs im Nahen Osten rief die Zeitschrift am 30. Juni 1967 folglich die in Argentinien lebenden Juden zur Alija auf. Sechs Monate später hieß es schließlich, die von Borochov ein halbes Jahrhundert zuvor hochgehaltenen Fahnen verlangten »heute mehr denn je junge jüdische Arme, die bereit seien, sie gänzlich zu hissen.«