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Blog der Doktorandinnen und
Doktoranden am Dubnow-Institut

Das Frankfurter Jüdische Museum

Eine Erinnerung an seine Gründung im Jahr 1988

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Die Gründungsfeierlichkeiten des Frankfurter Jüdischen Museums im Jahr 1988 waren kein rein städtisches Ereignis. Die Entstehung und Eröffnung der Einrichtung, die dieser Tage erneut im Fokus des allgemeinen Interesses steht, war bereits vor über drei Jahrzehnten aufgrund ihres singulären Charakters in Westdeutschland eine Besonderheit. Ein Umstand, der seinerzeit auch durch die Wahl des Eröffnungsdatums unterstrichen wurde: es war der 9. November 1988.

Als Gedenktag an die Pogromereignisse von 1938 hatte der 9. November erst seit 1978 an Bedeutung in der Öffentlichkeit gewonnen. War den Pogromen bis dahin allenfalls in lokalen Repräsentativveranstaltungen gedacht worden, artikulierte sich seit seinem 40. Jahrestag ein weit darüberhinausgehendes Erinnerungsbedürfnis mit unmittelbaren Auswirkungen auf das symbolische Erinnerungshandeln der Bundespolitik. So waren infolge der Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust im April 1978 im amerikanischen, im Januar 1979 im deutschen Fernsehen Begriff und Ereignis mit Wucht in den öffentlichen Diskurs getreten. Seitdem war auch eine starke Politisierung, Pädagogisierung und Ästhetisierung des Umgangs mit dem 9. November zu verzeichnen, die sich bis zum 50. Jahrestag, 1988, kontinuierlich steigerten und über dieses Datum hinaus weiter fortsetzten.

Helmut Kohl und Wolfram Brück auf dem Eröffnungsfestakt im Jüdischen Museum am 9. November 1988 © Rafael Herlich.
Helmut Kohl und Wolfram Brück auf dem Eröffnungsfestakt im Jüdischen Museum am 9. November 1988 © Rafael Herlich.

Die Entscheidung, die Pforten des Museums an genau jenem Tag zu öffnen, war daher bereits Monate im Voraus getroffen worden.Vgl. hierzu die Aussagen der damals im Museum beschäftigten Mitarbeiterin Felicitas Heimann-Jelinek <https://www.juedischesmuseum.de/de/erkunden/detail/1988-was-uebrig-blieb/> (2. November 2020). Sie garantierte lokale und landesweite politische Beachtung des Festakts. So hatte selbst Bundeskanzler Helmut Kohl sein Kommen angekündigt. In Begleitung des Frankfurter Oberbürgermeisters Wolfram Brück begab er sich am Nachmittag des 9. Novembers ins neue Jüdische Museum, wo beide die Eröffnungsansprachen hielten. Brück stand zu diesem Zeitpunkt im Zuge des Börneplatz-Konflikts in der öffentlichen Kritik –auch seitens jüdischer Gemeindemitglieder.Zum Börneplatz-Konflikt vgl. <https://www.juedischesmuseum.de/besuchen/gedenkstaette-boerneplatz-frankfurt/> (2. November 2020). Nicht nur hatte er sich in der Auseinandersetzung um die Frage nach dem Umgang mit den archäologischen Funden in der mittelalterlichen Judengasse, die bei Bauarbeiten zur Neugestaltung des Platzes freigelegt wurden, als äußerst unbeweglich gezeigt. Durch problematische und verzerrende Äußerungen hatte er ferner für geschichtspolitischen Zündstoff gesorgt. Sein Auftritt als Redner am 9. November 1988 stand für ihn allerdings nicht im Widerspruch zu seiner Forderung, die aufgefundenen Relikte in der Judengasse abzutragen. Für Brück sollte es im Jüdischen Museum schließlich um den Beitrag von »Rothschild und Weinberg, Merton und Cassella, Sonnemann und Börne, Sinsheimer und Ehrlich« gehen, denen die Stadt »einen großen Teil ihres kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Ranges« zu verdanken habe. In den Fokus rücken wollte er also nicht die Leidens-, Diskriminierungs- und Verfolgungsgeschichte der Frankfurter Juden, sondern die Erinnerung an ein jüdisches Bürgertum vor der Schoah. Paradoxerweise war für Brück der 9. November der Tag, um den eine jüdische Tradition in der Frankfurter Museumsgeschichte konstruiert werden konnte. Er sah das neue Jüdische Museum in der Nachfolge des 1922 gegründeten Frankfurter »Museums für Jüdische Altertümer.« Vom 9. auf den 10. November 1938 hatte dessen Arbeit jedoch ein jähes Ende gefunden. In Erinnerung an das kurze Bestehen der vormaligen Einrichtung hob Brück hervor, dass das Jüdische Museum »in der Kontinuität […] des Museums für jüdische Altertümer« stehe.Georg Heuberger (Hg.), Was übrig blieb. Das Museum Jüdischer Altertümer in Frankfurt 1922–1938, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1988. Brücks Gedanken stellten dabei mitnichten eine Einzelansicht dar, sondern hatten sich in dem nicht selten gebrauchten Begriff der »Wiedereinrichtung« bereits in städtischen Dokumenten und Korrespondenzen im Gründungszusammenhang des Museums als Wunsch Ausdruck verschafft –so als könne durch das Präfix »wieder« ganz selbstverständlich an eine Tradition angeknüpft, ja gar ihre Fortsetzung heraufbeschworen werden.

Georg Heuberger führt Helmut Kohl und Wolfram Brück während der Eröffnung des Museums durch die Ausstellung © Rafael Herlich.
Georg Heuberger führt Helmut Kohl und Wolfram Brück während der Eröffnung des Museums durch die Ausstellung © Rafael Herlich.

Dieser eingeschränkten Sicht auf die deutsch-jüdische Geschichte in Frankfurt entgegenzuwirken, stellte eine Herausforderung dar, der sich Georg Heuberger, ab Dezember 1985 amtierender Direktor des Jüdischen Museums, und sein Team annahmen. In Kontrast zu den Erzählungen vom Wiederaufbau jüdischen Lebens nach 1945 respektive der Wiederanknüpfung an ein jüdisches Erbe aus der Zeit vor 1945 stand dabei die jüdische Erfahrung des Bruchs im Vordergrund, die sich auch in den Familiengeschichten Heubergers und einiger seiner Mitarbeiterinnen und -arbeiter niedergeschlagen hatte: Als Kinder von Verfolgten und Holocaustüberlebenden teilten Georg Heuberger, Cilly Kugelmann, Susanna Keval und Hanno Loewy die Zugehörigkeit zur sogenannten Zweiten Generation von Juden im Nachkriegsdeutschland. Eine Darstellung der Kontinuität oder eines jüdischen »Beitrags« zur lokalen Geschichte lag ihnen fern. In diesem Sinne nahmen sie an der von nicht-jüdischen Akteuren sowie jüdischen Exil-FrankfurternDabei handelt es sich um eine Gruppe von mehrheitlich im englischen Exil lebenden Juden aus Frankfurt, die nach dem Krieg den Kontakt zur Stadt Frankfurt aufgesucht und 1961 an der Gründung der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden entscheidend mitgewirkt hatten. Viele der Mitglieder dieser Kommission beteiligten sich später auch an der inhaltlichen und programmatischen Konzeption des geplanten Jüdischen Museums. Vgl. hierzu Georg Heuberger, Zur Vorgeschichte der Gründung des Jüdischen Museum, in: ders. (Hg.), Die Pracht der Gebote. Die Judaica-Sammlung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Frankfurt 2006, S. 24-39. entworfenen ursprünglichen Ausstellungskonzeption eine fundamentale Änderung vor: Sie ließen sie nicht mit der Geschichte eines vermeintlich tradierten, kontinuierlich existierenden Frankfurter Judentums im Exil, des sogenannten »kleinen Frankfurts andernorts,« enden. Vielmehr schlossen sie ihre Dauerausstellung mit der Geschichte von in der amerikanischen Zone Deutschlands gestrandeten jüdischen Displaced Persons ab. Diese Überlebenden nannten sich She‘erit Haplejta (Rest der Geretteten) – eine Selbstbezeichnung mit biblischer Referenz, die zweierlei implizierte: Neuanfang durch Rettung, aber auch Verlust durch Tod und Zerstörung. Es war daher kein Zufall, dass »Verlust« zur Leiterzählung der zeitgleich mit der Dauerausstellung präsentierten Wechselausstellung wurde. In der hatten Heuberger und sein Team all jene Objekte des alten Museums zusammengetragen, die nach dem 9. November 1938 gerettet und in alle Welt verstreut worden waren. Doch beabsichtigten sie –anders als Wolfram Brück– damit kein Anknüpfen an die Arbeit des einstigen Museums, keine Kontinuitätslinie zur vernichteten früheren Einrichtung. Vielmehr sollte die Ausstellung gerade umgekehrt die Zerstörung, die Plünderung und den Verlust der alten Judaica-Sammlung vor Augen führen. Die 1988 ausgestellten Objekte umfassten eben nicht die einstige Sammlung, sondern das, was von ihr übrig geblieben war: Von ehedem 18 000 Artefakten konnten gerade einmal vierzig zum Zwecke der Ausstellung nach Frankfurt geholt werden. »Was übrig blieb« lautete daher der Titel der Wechselausstellung – eine Formulierung, die ganz bewusst auf den durch erfahrungsgeschichtliche Hintergründe der Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter vermittelten Topos jüdischer Tradition zurückgriff. Dieser Rest des Geretteten, der am 50. Gedenktag an die Novemberpogrome gezeigt wurde, präsentierte nicht das Erbe einer glanzvollen Vergangenheit, sondern konfrontierte die Besucher mit dem Erbe der grausamen Zerstörung einer Tradition.Die Akten und Dokumente im Zusammenhang seiner Gründungsgeschichte befinden sich im hauseigenen Archiv des Jüdischen Museums Frankfurt.

Zarin Aschrafi erarbeitet als Doktorandin am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow eine Erfahrungsgeschichte der »Jüdischen Gruppe« in den 1970er und 1980er Jahren | aschrafi(at)dubnow.de

Die Fotos des Beitrags verwenden wir mit freundlicher Genehmigung des Fotografen Rafael Herlich.

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