Am 8. Januar 1752 kam es zu einer lautstarken Auseinandersetzung vor dem Haus des Emanuel Goldschmidt in der Frankfurter Judengasse. Goldschmidts Gast, der Mainzer Schutzjude Joseph Lazarus Schlosser, hatte nach Aussage mehrerer Zeugen den Frankfurter Schutzjuden Nathan Meyer Kulp mit dem Vorwurf des Diebstahls und der Hehlerei beleidigt. Weiterhin habe er ihn mit despektierlichen Kommentaren zu einem seiner Brüder provoziert. Schlosser zufolge hatten daraufhin drei Männer versucht, ihn auf die Straße zu zerren und zu verprügeln. Die Gegenseite stritt den Vorwurf ab und versicherte, Schlosser habe mit seinen Beleidigungen ein Wortgefecht entbrannt; zu Tätlichkeiten sei es aber nicht gekommen.
Die Akte »Criminalia 6683« des Frankfurter Instituts für Stadtgeschichte beinhaltet neben Beschwerdeschreiben und Befragungsprotokollen auch eine kurze Korrespondenz zwischen der Mainzer Verwaltung und dem Älteren Bürgermeister der Stadt Frankfurt. In seiner Gesamtheit verdeutlicht das Konvolut nicht nur den Rechtsstreit zwischen Joseph Lazarus Schlosser und Nathan Meyer Kulp, sondern auch konkurrierende jurisdiktionelle Ansprüche der beiden Städte.
Ein warnendes Mainzer Schutzschreiben für seine jüdischen Handelsleute, datiert auf den 3. Januar 1752, erreichte seinen Zielort einen Tag später. Das ist bemerkenswert, denn damit wurde es abgefasst, noch bevor es überhaupt zum Tumult vor Emanuel Goldschmidts Haus gekommen war. Hatte man in Mainz die Ereignisse vorausgesehen? Wohl kaum, doch war der erbitterte Zwist zwischen den Familien Kulp und Kann längst über die Stadtgrenzen Frankfurts hinaus bekannt. Bei der als Kulp-Kann’sche Wirren bezeichneten Auseinandersetzung handelte es sich um einen Streit innerhalb der Frankfurter Judenschaft um die Besetzung der Gemeindeämter. Zwischen 1749 und 1772 zerriss der Konflikt die Gemeinde in verschiedene Parteien. Aufgrund von persönlichen Netzwerken einzelner Gemeindemitglieder eskalierten die Vorgänge auch auf Reichsebene. Wenngleich die in der Akte enthaltenen Zeugenbefragungen und Gegenüberstellungen auf den ersten Blick den Eindruck vermitteln, es handle sich am 8. Januar 1752 um eine »gewöhnliche« Injurien- bzw. Beleidigungsklage, legt der Mainzer Brief nahe, dass es bereits zuvor Konfrontationen zwischen Mainzer und Frankfurter Juden gegeben hatte, die in einem engen Zusammenhang mit dem Streit standen.