Die Eintragung im Gästebuch des Hotels Royal in Évian-les-Bains wich am 5. Juli 1938 vom üblichen Schema ab. War gewöhnlich in jeder Zeile mit schwarzem Füllfederhalter neben dem Ankunftstag der Name des Gastes mit Wohnort verzeichnet, so markierte an jenem Tag rote Tinte ein besonderes Ereignis. Für die nächsten zehn Tage versammelten sich in Évian Gäste aus aller Welt zu einer internationalen Konferenz. Aus dem Titel, der lediglich das Eintreffen eines »Comité Intergouvernemental d’Evian« anzeigte, lässt sich nicht erkennen, dass die Migration und Flucht Tausender deutscher und österreichischer Jüdinnen und Juden vor dem nationalsozialistischen Regime im Vordergrund dieser Zusammenkunft stehen sollten. Die Eintragung im Gästebuch legt nahe, dass im Hotel Royal die wichtigsten Teilnehmer untergebracht waren – darunter die Delegierten aus Argentinien und Großbritannien, Dänemark und den Vereinigten Staaten, Frankreich und den Niederlanden sowie einige Diplomaten des Völkerbundes. Die Vertreter derjenigen, über deren Schicksal verhandelt wurde, sucht man bei den herausgehobenen Eintragungen jedoch vergeblich.
Die Emissäre verschiedener Hilfsorganisationen kamen an den Genfer See, um ihre Positionen einzubringen, und mehr als einhundert Journalisten berichteten von der Konferenz. Insgesamt entsendeten 21 jüdische Organisationen ihre Repräsentanten, die über jahrzehntelange Erfahrungen in Migrationspolitik und Hilfeleistungen für Flüchtlinge verfügten. Mittels unterschiedlicher Pläne und Finanzierungsmodelle versuchten sie, für die deutschen und österreichischen Juden eine geordnete Auswanderung im Verlauf der nächsten Jahre in sichere Zufluchtsstaaten zu erreichen. Ihre Vorbereitungen der Konferenz waren gründlich gewesen. Eine zentrale Persönlichkeit dieser Planungen war Salomon Adler-Rudel. Nach jahrzehntelanger Arbeit in der Migrationshilfe in Berlin verfügte er über ein umfangreiches Netzwerk und sollte als Emissär verschiedener jüdischer Organisationen nach Évian gehen. Zuvor hatte er sich im Mai und Juni 1938 mit dem erfahrenen Diplomaten und ehemaligen Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Hans Schäffer über die richtige Strategie auf der Konferenz verständigt. Schäffer ging davon aus, dass die Regierungsvertreter für die Bereitstellung von Materialien über die Situation der Flüchtlinge und Hürden der Emigration »dankbar sein werden«. Anschließend beschrieb er die Prinzipien jüdischer Diplomatie, ohne sie als solche zu benennen: »Je genauer und sorgfältiger diese Grundlagen vorbereitet sind, desto grösser wird das Vertrauen der Regierungsvertreter zu den Organisationen werden und desto grösser auch die Aussicht für diese letzteren, einen Einfluss auf den Gang der Verhandlungen auszuüben.«