Im Herbst 1967 war der Zenit einer kontroversen Diskussion erreicht, die ihren Widerhall auch im Westberliner Radio fand. Sie kreiste um die Frage, ob in der Villa in Berlin-Wannsee, wo sich am 20. Januar 1942 fünfzehn hochrangige Vertreter des NS-Regimes über die Koordinierung der Deportation und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden abstimmten, eine Forschungseinrichtung gegründet werden sollte.
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand Joseph Wulf, Initiator und Vorsitzender des Vereins Internationales Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen.Die Ausführungen zur Initiative und Debatte basieren vor allem auf den Forschungsergebnissen von Gerd Kühling und Klaus Kempter. Vgl. Kühling, Schullandheim oder Forschungsstätte? Die Auseinandersetzung um ein Dokumentationszentrum im Haus der Wannsee-Konferenz (1966/67), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), 211–235; Kempter, Joseph Wulf. Ein Historikerschicksal in Deutschland, Göttingen 2013. Der 1912 in Chemnitz geborene Wulf hatte sich nach Kriegsende ganz der wissenschaftlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen verschrieben, was neben der Publikation zahlreicher Bücher zum Thema in der Initiative für das Dokumentationszentrum seinen Niederschlag fand.
1966 hatte der damalige Regierende Bürgermeister von Westberlin Willy Brandt zwar seine Unterstützung zugesagt, mit seinem Fortgang nach Bonn verlor Wulfs Initiative jedoch an Beistand im Senat. In den 1960er Jahren gab es wenig Verständnis und Interesse, sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und Fragen der Täterschaft zu beschäftigen, wie die vielen gegen das Vorhaben protestierenden Stimmen zeigten. Insbesondere die beabsichtigte Nutzung der Immobilie Am Großen Wannsee 56–68 stieß allgemein auf Ablehnung. Der ab Herbst 1967 Regierende Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) schob vor, eine Einrichtung am Wannsee würde Neonazismus und Antisemitismus befördern. Am 5. November verunglimpfte er in der Zeitung Welt am Sonntag das geplante Dokumentationszentrum als »makabre Kultstätte«.
Wulf verwahrte sich gegen Ansichten dieser Art. Am 25. November 1967 hob er in einem rund zehnminütigen Gespräch mit dem RIAS-Journalisten Gerd Meyer hervor, dass die Aufgabe des Dokumentationszentrums darin bestünde, international verstreutes Archivmaterial zu sammeln, auf Mikrofilm zu bannen und der Forschung zugänglich zu machen. Die Wahl des historischen Ortes in Berlin-Wannsee hatte, das war Wulf bewusst, großen Einfluss auf die Unterstützung aus dem Ausland: »Wir würden nie die internationale wissenschaftliche Kooperation haben ohne das Haus am Wannsee, und wir werden nie die Gelder bekommen.«Interview des RIAS mit Joseph Wulf, 25. November 1967, RIAS-Archiv, Nr. RIAS DC 5049. Die im Beitrag verwendeten Zitate wurden zugunsten einer besseren Lesbarkeit sprachlich geglättet.