Walter Jellinek gehörte zu jenen etwa 10 500 Menschen, die zwar aufgrund ihrer jüdischen Vorfahren von den Nationalsozialisten stigmatisiert wurden, durch ihre Ehe mit einer nichtjüdischen Partnerin beziehungsweise einem nichtjüdischen Partner aber in Deutschland überlebt hatten. Wie viele andere aus diesem Personenkreis war Jellinek christlicher Konfession. Seine Eltern, die Frauenrechtlerin Camilla Jellinek und der Rechtsphilosoph Georg Jellinek, hatten ihn im Alter von elf Jahren taufen lassen. Dennoch beruhte Jellineks Vertreibung und Verfolgung allein auf seiner jüdischen Herkunft.
Ab 1933 veränderten die rassisch begründeten Erlasse, Gesetze und Maßnahmen Jellineks Stellung an der Universität Heidelberg. Schritt für Schritt verlor er akademische Ämter und Rechte. Weil er unter die Ausnahmeregelungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums fiel, behielt er jedoch einstweilen seinen Lehrstuhl. Noch bevor ihn die erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz 1935 wegen der jüdischen Religionszugehörigkeit von drei seiner Großeltern als »Volljuden« definierte und zum Jahr 1936 in den Ruhestand zwang, hatten ihn die nationalsozialistischen Ministerien im Mai und Oktober 1935 gleich zwei Mal beurlaubt. Zudem hatte am 23. Mai desselben Jahres der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund einen Boykott von Jellineks Vorlesung organisiert.Die Vertreibung von Hochschullehrern aus der Universität Heidelberg schildert Dorothee Mußgnug: Die vertriebenen Heidelberger Dozenten. Zur Geschichte der Ruprecht-Karls-Universität nach 1933, Heidelberg 1988. Zur Dimension der Vertreibung aus deutschen Hochschulen vgl. Michael Grüttners/Sven Kinas: Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933–1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), H. 1, 123–186.
Während der gesamten Zeit der NS-Diktatur lebte Jellinek entrechtet und isoliert in seinem Heidelberger Wohnhaus. Anstatt wie viele Wissenschaftler zu emigrieren, führte er die 1933 von ihm begonnene Ahnenforschung fort, um die im Reichsbürgergesetz in Aussicht gestellte Befreiung von den Bestimmungen zu erreichen.Wie sich Jellinek gegen Stigmatisierung und Verfolgung wehrte, rekonstruiert Klaus Kempter: Ein Rechtsprofessor im Konflikt mit der NS-Rassengesetzgebung. Der Fall Walter Jellinek, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46 (1998), H. 4, 305–319. Seine 1914 geschlossene Verbindung mit Irmgard Wiener, die keine jüdischen Vorfahren besaß, bezeichneten die Nationalsozialisten ab 1938 euphemistisch als »privilegierte Mischehe«, weil ihre Kinder christlich erzogen worden waren. Sie bewahrte Walter Jellinek etwa davor, den gelben Stern tragen zu müssen oder mit seiner Familie in einem sogenannten »Judenhaus« untergebracht zu werden. Dieses Konstrukt schützte ihn jedoch nicht vor anderen Diskriminierungen, etwa dem Führen des zusätzlichen Namens »Israel«, oder der Bedrohung des Lebens, auch wenn es die Deportation hinauszögerte.
Zu Beginn des Jahres 1945 ordnete das Reichssicherheitshauptamt schließlich an, alle als jüdisch geltenden Partner aus »privilegierten Mischehen« zu deportieren.Die Verfolgung von »privilegierten Mischehen« in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs diskutiert Maximilian Strnad: The Fortune of Survival. Intermarried German Jews in the Dying Breath of the »Thousand-Year Reich«, in: Dapim. Studies on the Holocaust 29 (2015), H. 3, 173–196. Was verhinderte, dass Jellinek zusammen mit 15 weiteren Heidelbergern im Februar 1945 in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt wurde, ist nicht zu rekonstruieren. Letztlich rettete ihn nur das Ende des nationalsozialistischen Regimes, das für ihn mit dem Eintreffen der Alliierten im Süden Deutschlands einherging.
Der technische Ablauf von Jellineks Wiedereinsetzung als Hochschullehrer enthält eine eklatante Leerstelle: Dass Jellinek nicht einfach eine Versetzung in den Ruhestand erlebt hatte, thematisierten seine Zeitgenossen nicht. Die gezielten Demütigungen, die ihm das akademische Lehramt schon vor der endgültigen Vertreibung aus der Universität unmöglich gemacht hatten, lagen genauso außerhalb des Bewusstseins wie die Tatsache, dass die Nationalsozialisten ihn für die physische Vernichtung bestimmt hatten. Das Schicksal von Jellinek, der weder emigriert noch direkt mit dem Holocaust konfrontiert, sondern aufgrund privater Umstände einfach vor Ort geblieben war, nahmen seine Mitmenschen nur bedingt als das eines Opfers wahr. So vermittelt besonders das Unausgesprochene einen Eindruck von der Nachkriegsmentalität. Gerade das Wissen um Jellineks Erfahrungen unter der nationalsozialistischen Diktatur setzt die Bereitschaft, an der Universität wieder Verantwortung zu übernehmen, in eine frappierende Spannung.