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Unliebsame Neuzugänge

Das Schicksal der Sammlung Jakob Wassermann

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Kataloge und Bücherverzeichnisse sind wertvolle Quellen für die Rekonstruktion von Bibliotheken. Insbesondere für deutsch-jüdische Sammlungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind sie heute häufig die einzige Form der Überlieferung. Dass diese Kataloge jedoch nicht nur in Bezug auf zerstreute oder zerstörte Bibliotheken aufschlussreich sein können, zeigt die Privatbibliothek Jakob Wassermanns. Ein Blick in das 23-seitige Verzeichnis, das wie die rund 2 800 Bände umfassende Sammlung selbst heute in der Stadtbibliothek Nürnberg aufbewahrt wird, ermöglicht tiefe Einblicke in die intellektuelle Biografie eines der erfolgreichsten deutsch-jüdischen Schriftsteller der Weimarer Zeit. So lassen beispielsweise die Hinweise zu Widmungsexemplaren – unter anderem von Arthur Schnitzler, Arnold Zweig oder Edmond Fleg – Rückschlüsse auf persönliche Verbindungen des Schriftstellers zu. In Bezug auf die Inhalte scheint das Verzeichnis zunächst wenig Überraschendes zu offenbaren: Mit Werken zur deutschen und fremdsprachigen Belletristik, Geschichtswissenschaft, Philosophie, Soziologie, Musik und den zahlreichen Titeln mit Bezug zum Judentum vereint die Sammlung Bereiche, die nicht nur für das literarische Werk Wassermanns von Bedeutung waren, sondern auch dessen Denken und Selbstverständnis prägten. Bei genauerem Hinsehen aber machen einige Inhalte doch stutzig. So befinden sich in der Bibliothek eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Werken des NS-Ideologen Alfred Rosenberg sowie weitere nationalsozialistische Publikationen. Wie gelangten diese Titel in die Sammlung des deutsch-jüdischen Schriftstellers?

Bücherei Jakob Wassermann. Vollständiges Verzeichnis [1966], 1–2. Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg, Nachlass Jakob Wassermann.
Die erste Seite aus dem Verzeichnis der Sammlung Jakob Wassermann (einschließlich der darin integrierten Bücher aus dem Besitz Michael Frischmuths) für den Verkauf an die Stadtbibliothek Nürnberg [1966], Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg, Nachlass Jakob Wassermann.
Bücherei Jakob Wassermann. Vollständiges Verzeichnis [1966], 1–2. Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg, Nachlass Jakob Wassermann.
Die zweite Seite aus dem Verzeichnis der Sammlung Jakob Wassermann (einschließlich der darin integrierten Bücher aus dem Besitz Michael Frischmuths) für den Verkauf an die Stadtbibliothek Nürnberg [1966], Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg, Nachlass Jakob Wassermann.

Die Gründe hierfür sind in Wassermanns Wahlheimat, dem österreichischen Altaussee, zu suchen. Dorthin hatte er im Jahr 1919 nach einem unsteten Leben zwischen Fürth, München und Wien seinen Lebensmittelpunkt verlegt. In seiner Villa am See fand er Ruhe und Inspiration, hier verfasste er die Romane Faber oder die verlorenen Jahre (1924) und Laudin und die Seinen (1925) und hier stellte er seine Bibliothek auf. Mit gerade einmal 60 Jahren verstarb Wassermann in der Neujahrsnacht des Jahres 1934 unerwartet an einem Herzinfarkt. Wassermanns zweite Frau Marta kehrte daraufhin mit dem gemeinsamen Sohn dem Bergidyll den Rücken. In Altaussee verblieben lediglich die letzte Ruhestätte Wassermanns und die Villa, die im Juli 1935, wie auch die Bibliothek, versteigert wurde. Die neuen Besitzer waren der Dichter Leopold von Andrian-Werburg, der das Haus bereits Jahrzehnte zuvor besessen hatte, sowie der Eigentümer des benachbarten Seehotels, Michael Frischmuth. Warum es zu einer Aufteilung des Anwesens kam und warum insbesondere die Bücher nicht etwa in den Besitz des Dichters Andrian-Werburg, sondern in die Hände der Hotelierfamilie übergingen, ist unklar. Weder von Raub noch von Zwang kann in diesem Kontext die Rede sein. Dennoch hätte Wassermann sich sicherlich ein anderes Schicksal für seine Bibliothek gewünscht – der Literaturgeschmack des neuen Inhabers hätte gegensätzlicher nicht sein können. Frischmuth integrierte seine eigenen Bücher in den Bestand und so geriet nationalsozialistische Literatur zwischen Wassermanns Bücher. Die Sammlung überdauerte die Kriegsjahre unbeschadet im steirischen Altaussee. Während die Erinnerungen an den einst so geschätzten deutsch-jüdischen Ausnahmeschriftsteller verblassten, sollte man sich Jahrzehnte nach seinem Tod wieder an die Bibliothek Wassermann erinnern. Interessent war die Stadtbibliothek Nürnberg, die für ihr geplantes Institut für Fränkische Literatur im Jahr 1964 nach passenden Beständen suchte. Frischmuth war im Krieg gefallen, die Familie hatte wohl keine Verwendung für die kontrastreiche Sammlung und war bereit, die Bibliothek nach Nürnberg zu verkaufen. In diesem Zusammenhang entstand auch das Bestandsverzeichnis.

Obwohl in Fürth geboren, war es gerade die Stadt Nürnberg, die seit frühester Kindheit eine starke Faszination auf Wassermann ausübte, eine Faszination, die sich in zahlreichen seiner Werke widerspiegelt. Hierüber hatte Franz Kafka bereits 1922 in einem Brief an Max Brod Folgendes zu bedenken gegeben: »Und wenn Wassermann […] sein Leben lang die Nürnberger Gegend von einem Ende zum anderen durchpflügt, sie wird ihm nicht antworten, schöne Zuflüsterungen aus der Luft wird er für ihre Antwort nehmen müssen.«Franz Kafka, Briefe 1902–1924, hg. von Max Brod, Frankfurt a. M. 1966, 400. Fast dreißig Jahre nach Wassermanns Tod wurde es also just Nürnberg, wohin ein Teil seines Nachlasses zurückkehrte. Die immer noch in seine private Sammlung integrierte NS-Literatur könnte man als »Zeugen der Zeit« deuten, ähnlich den Stempeln von NS-Institutionen, die bis heute in zahlreichen Büchern aus jüdischem Vorbesitz zu finden sind. Zur richtigen Einordnung bedarf es jedoch entsprechender Sichtbarmachung. Die Geschichte der Sammlung Wassermann eröffnet sich bisher nur durch eine tiefgründige Recherche, der Öffentlichkeit bleibt sie verborgen. Vergleicht man sie beispielsweise mit der Lion Feuchtwanger Memorial Library in Los Angeles, die als Exil-Bibliothek sehr viel Aufmerksamkeit erfährt, wird deutlich wie unbeachtet Jakob Wassermanns Sammlung bisher in Deutschland geblieben ist. Doch gerade weil mit der Bibliothek Wassermann nicht nur die Sammlung eines berühmten deutsch-jüdischen Schriftstellers, sondern eine der wenigen überhaupt erhalten gebliebenen deutsch-jüdischen Privatbibliotheken nach Deutschland und eben nach Nürnberg geholt wurde, darf es nicht bei »Zuflüsterungen« bleiben.

Julia Schneidawind ist Doktorandin am Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Arbeitstitel ihrer Dissertation lautet Schicksale und ihre Bücher – deutsch-jüdische Privatbibliotheken zwischen Jerusalem, Tunis und Los Angeles, in deren Zentrum die Geschichte der Büchersammlungen von Karl Wolfskehl, Franz Rosenzweig, Lion Feuchtwanger und Stefan Zweig stehen | julia.schneidawind(at)lrz.uni-muenchen.de

Titelfoto: Widmung Arnold Zweigs an Jakob Wassermann in der Erstausgabe seines Romans Der Streit um den Sergeanten Grischa (Potsdam 1927 [vordatiert 1928]) vom 27. Oktober 1927, Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg, Was. 176.

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