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Blog der Doktorandinnen und
Doktoranden am Dubnow-Institut

Vom Nahen Osten nach Europa und zurück

Ignaz Goldziher im Austausch mit Ali Mubarak

von

»Geschenk des Autors an den geehrten, verdienstvollen Gelehrten, Dr. Goldziher. Anfang März 1891«. Mit dieser arabisch geschriebenen Widmung dankte der Gelehrte und ehemalige ägyptische Bildungsminister Ali Pascha Mubarak (1823–1893) seinem Freund und Kollegen, dem ungarisch-jüdischen Orientalisten Ignaz Goldziher (1850–1921), auf dem Vorsatzblatt eines Buches. Bei dem Geschenk handelte es sich um den Roman Alamaddin aus Mubaraks Feder, der von der Reise eines muslimischen Gelehrten erzählt. Mindestens genauso interessant wie dessen fiktive Reise ist die des Romanexemplars vom Nahen Osten nach Europa und zurück.

Vorsatzblatt Alamaddin.
Vorsatzblätter und Titelseite des in Ignaz Goldzihers Privatbibliothek enthaltenen Romans Alamaddin von Ali Mubarak. © The digital item is made available to the public in the framework of cooperation between The National Library of Israel (NLI) and Google, LLC on the Google Books project. The physical item is from the collections of NLI.
Widmung Alamaddin.
Vorsatzblätter und Titelseite des in Ignaz Goldzihers Privatbibliothek enthaltenen Romans Alamaddin von Ali Mubarak. © The digital item is made available to the public in the framework of cooperation between The National Library of Israel (NLI) and Google, LLC on the Google Books project. The physical item is from the collections of NLI.
Titelseite Alamaddin.
Vorsatzblätter und Titelseite des in Ignaz Goldzihers Privatbibliothek enthaltenen Romans Alamaddin von Ali Mubarak. © The digital item is made available to the public in the framework of cooperation between The National Library of Israel (NLI) and Google, LLC on the Google Books project. The physical item is from the collections of NLI.

Anlass für das Geschenk war eine wohlwollende und sachliche Rezension von Goldziher über Mubaraks Opus magnum Al-Khitat at-taufiqiya (Zwanzigbändige historische und geografische Beschreibung der Städte Ägyptens). Goldziher hatte das Werk im Frühjahr 1890 gesichtet und darauf aufbauend den im selben Jahr erschienenen zweiten Band seiner bahnbrechenden Schrift Muhammedanische Studien ergänzt. Zugleich stellte er mit seiner Rezension in der Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Mubarak und dessen Werk den europäischen Wissenschaftskreisen vor. An »hervorragender Stelle« sah Goldziher den Autor und würdigte ihn als Förderer der vom ägyptischen Herrscher Muhammad Ali Pascha (1769–1849) eingeleiteten Reformen, die nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens umfassten. Zu den wichtigsten Leistungen Mubaraks zählen die Gründung der heutigen Ägyptischen Nationalbibliothek im Jahr 1870 und der Lehranstalt Dar al-Ulum (Haus der Wissenschaften) im Jahr 1871, die zur Keimzelle eines modernen säkularen Bildungssystems in Ägypten avancierte.

Goldzihers Rezension offenbart sein Idealbild eines muslimischen Reformers, den er in Ali Mubarak verkörpert sah: Dieser vereinige in ausgeglichener Weise traditionelle islamische Gelehrsamkeit und moderne europäische Wissenschaft in sich. Nach einem Studium in Paris in den 1840er Jahren trat Mubarak in Ägypten in den gehobenen Staatsdienst und brachte die Modernisierung des Landes maßgeblich voran. Unter Bezugnahme auf das Selbstverständnis des Autors hob Goldziher hervor, dass Mubarak mit seinem Werk »für die Kunde seiner Heimat« in jenem Jahrhundert dasselbe zu leisten suchte, was der ägyptische Geschichtsschreiber Ahmad Ibn Ali al-Maqrizi (1364–1442) im Mittelalter vollbracht hatte. Damit stellte Goldziher Mubarak in eine Linie mit den bedeutenden Vertretern der nationalen Wissenstradition und brachte auf subversive Weise seine Überzeugung zum Ausdruck, die Leitfigur für Mubarak solle kein Europäer, sondern ein ägyptischer muslimischer Gelehrter sein.

Wie Goldziher berichtete, schrieb Mubarak die Geschichte seiner Heimat unter Zuhilfenahme von »arabischen und europäischen Werken«. Dabei betonte er, dass die von Mubarak erarbeiteten Biografien nach »Art orientalischer Werke« verfasst seien und aus »bekannten Gelehrten-Lexicis« der islamischen Wissenstradition schöpften. Dass Goldziher die arabische Forschungsliteratur vor die europäische stellte, ist kein Zufall. Der hierin ablesbare, im Vergleich zu den meisten seiner europäischen Kollegen untypische Respekt vor der islamischen Wissenstradition verleitete Goldziher dabei nicht zur Geringschätzung der modernen europäischen Wissenschaft, als deren Vertreter er sich selbst verstand. Positiv beurteilte er »den großen Einfluss europäischer Bildung«, der »die Individualität des Verfassers bestimmt«. Vor allem war er von Mubaraks Fähigkeit beeindruckt, seine eigene Wissenstradition nicht außer Acht zu lassen und sich dennoch der modernen europäischen Forschung zu öffnen. Zudem lobte Goldziher, dass Mubarak seine europäischen Quellen kritisch zu hinterfragen wagte. Diese Idealvorstellung von islamischer Tradition und moderner europäischer Wissenschaft, die einander nicht ausschließen oder verleugnen, sondern sich gegenseitig befruchten, ergänzen und konstruktiv kritisieren, zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Werkbesprechung. Goldziher nutzte die Rezension, um als aufmerksamer Beobachter und Befürworter der islamischen Reformbewegung in Ägypten für die von ihr angestrebte Harmonisierung zwischen dem Islam und der Moderne zu werben.

Um seiner Anerkennung und Unterstützung Ausdruck zu verleihen, sandte Goldziher die Rezension an Mubarak, der sich daraufhin herzlich in einem Brief vom 28. Februar 1891 bedankte. Er fühle sich insbesondere »berührt« von der »Gerechtigkeit«, die Goldzihers Worte »dem Geist« erwiesen hätten, der für dieses und all seine anderen Werke den »Leitstern« darstelle: die »Liebe« zu seinem »Vaterland und dem öffentlichen Wohl«. Als Zeichen seiner »vorzüglichsten Hochachtung« legte Mubarak ein Exemplar seines bereits erwähnten, 1882 erschienenen vierbändigen Romans Alamaddin bei, in dem der gleichnamige Protagonist, ein Gelehrter der weltweit berühmten islamisch-theologischen Lehranstalt Al-Azhar, in Ägypten einen Engländer kennenlernt und ihn in der arabischen Sprache und islamischen Tradition unterrichtet. Als Alamaddin diesen auf einer Reise nach England begleitet, kehrt sich das Verhältnis um: Der Lehrer wird zum Schüler – und es zeigt sich, wie unerlässlich es ist, dass beide Kulturen voneinander lernen.

Studierzimmer von Ignaz Goldziher in Budapest.
Studierzimmer von Ignaz Goldziher in Budapest, Magyar Zsidó Múzeum és Levéltár (Ungarisches Jüdisches Museum und Archiv), F72.94, http://collections.milev.hu/items/show/34116.

Zweifelsohne erhoffte sich Mubarak, dass Goldziher auch dieses Werk rezensieren würde. Er betrachtete den jüdischen Orientalisten als einen Verbündeten, der eine einflussreiche Stimme in europäischen akademischen Kreisen besaß. Der mit der zu Beginn zitierten Widmung und Goldzihers Exlibris versehene Roman bezeugt die gegenseitige Wertschätzung der beiden Gelehrten. Das Buch gehört zum Bestand der 6 000 Bände zählenden Privatbibliothek Goldzihers, die nach dessen Tod am 13. November 1921 von der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem, der heutigen Israelischen Nationalbibliothek, erworben wurde und die uns noch heute vieles über transnationale jüdisch-muslimische Beziehungen und Wissenstransfer im 19. und 20. Jahrhundert lehren kann.

Walid Abdelgawad ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ignaz-Goldziher-Programm für jüdisch-muslimische Studien des Leibniz-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow. Er forscht zu Ignaz Goldziher und transnationalen jüdisch-muslimischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert | abdelgawad(at)dubnow.de

Der Autor dankt Sven Römling für die Übersetzung des Briefes von Ali Mubarak an Ignaz Goldziher vom 28. Februar 1891 aus dem Französischen.

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