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Blog der Doktorandinnen und
Doktoranden am Dubnow-Institut

Materielle Spuren

Die »Bibliothek des jiddischen PEN-Clubs«

von

1935 erschien in Warschau der erste Band der »Bibliothek des jiddischen PEN-Clubs«. Die prestigeträchtige Reihe sollte sowohl literarisch als auch materiell höchste Qualitätsmaßstäbe für die jiddische Literatur setzen, um so der Krise des jiddischen Buchmarkts zu begegnen, dessen Absätze seit den 1920er Jahren kontinuierlich gesunken waren. Der Redakteur und Literaturkritiker Nakhmen Mayzil hatte 1932 festgestellt, dass sich die Krise nunmehr in einen Kollaps verwandelt habe. Diese düstere Einschätzung war besonders bitter, da sie auf eine vom jiddischen PEN-Club initiierte Kampagne folgte, den »Monat des jiddischen Buches«. Für diese Werbemaßnahme waren eine Reihe prominenter Unterstützer gefunden worden, darunter auch der Historiker Simon Dubnow, der mit dem markigen Aufruf »Rettet das jiddische Buch, und das jiddische Buch wird euch retten!« für das Lesen warb. Die Bemühungen brachten allerdings nicht den erhofften Effekt.

Ein weiterer Versuch, der Krise zu begegnen, war die »Bibliothek des jiddischen PEN-Clubs«: Zusammen mit der Vergabe von Literatur- und Übersetzungspreisen sollte die Reihe der Förderung jiddischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller dienen. Ihre Bände und weitere, mit finanzieller Unterstützung des jiddischen PEN-Clubs veröffentlichte Publikationen führen heute als materielle Spuren in Bibliothekskatalogen zur noch weitestgehend unerforschten Geschichte der Organisation. 1927 war der jiddische PEN-Club in die Schriftstellervereinigung PEN aufgenommen worden – eine lang ersehnte Anerkennung der jiddischen Literatur. Nachdem sich schließlich in Warschau, Wilno und New York Abteilungen gegründet hatten, war die Repräsentation jiddischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller in einem internationalen Forum damit erstmals institutionell untermauert.

Umschlag von »Der sotn in Goray« (1935), gestaltet von Yisroel Tikotsinski.
Umschlag von »Der sotn in Goray« (1935), gestaltet von Yisroel Tikotsinski.

Der erste Reihenband 1935 ist nicht nur Zeugnis der Aktivitäten des jiddischen PEN-Clubs und gibt Aufschluss über sein Selbstverständnis, sondern er enthält auch historisches Quellenmaterial zum internationalen PEN und zur jiddischen Vertretung, darunter eine Liste von 65 Mitgliedern und Unterstützern der Warschauer Zweigstelle. Die Buchreihe als solche hingegen ist ein Beispiel für eine primär auf das jiddischsprachige Lesepublikum und den Literaturbetrieb abzielende Initiative. Den Anfang machte der Erstlingsroman von Isaac Bashevis Singer, Der sotn in Goray. A mayse fun fartsaytns (Der Satan in Goraj. Eine Geschichte aus alten Zeiten). Die Handlung setzt circa zwei Jahrzehnte nach den Chmielnicki-Pogromen 1648/49 im südostpolnischen Schtetl Goraj unweit von Lublin ein. Der Roman erzählt von der Hoffnung auf die Erlösung von weltlichen Qualen durch den Messias und von Wunder- und Irrglauben, die schließlich dem Satan Tür und Tor öffnen.

Die Ziele der Buchreihe »Bibliothek des jiddischen PEN-Clubs« in prägnanter Form auf dem Papierumschlag. Quelle: Yitskhok Bashevis, »Der sotn in Goray«, Warschau 1935.
Die Ziele der Buchreihe »Bibliothek des jiddischen PEN-Clubs« in prägnanter Form auf dem Papierumschlag. Quelle: Yitskhok Bashevis, »Der sotn in Goray«, Warschau 1935.

Welche Absichten der jiddische PEN-Club mit der Reihe verfolgte, ist im Geleitwort sowie – noch etwas prägnanter formuliert – auf dem rückseitigen Klappentext dargelegt. Gezeichnet wurden diese Paratexte von der Verwaltung der Warschauer Zweigstelle, der zu diesem Zeitpunkt der Präsident Noyekh Prilutski, Itsik Manger, Yoshue Perle, M. Vanvild (Moyshe Yoysef Dikshteyn) und der Sekretär Mikhoel Burshtin angehörten. Auswahl, so heißt es dort, sei das »wichtigste Fundament einer jeden Literatur«. Die »Bibliothek des jiddischen PEN-Clubs« sei eine »gesellschaftliche Unternehmung«Hervorhebung im Original. unter der Aufsicht des jiddischen PEN-Clubs, der »die höchste Repräsentanz der jiddischen Literatur weltweit« bilde und dadurch eine qualitative Auswahl und Buchproduktion garantiere.

»Wir hoffen, auf diese Weise das Vertrauen und die Unterstützung des besseren jiddischen Lesers zu gewinnen, der versteht, dass ein gutes Buch keine alltägliche Erscheinung ist, sondern ein Ereignis, ein Feiertag [yontev] für das Kulturleben eines Volkes, und dass die Literatur eine Atmosphäre der Ehrfurcht [yires-hakoved] und Liebe benötigt.«Hervorhebungen im Original.

Einem religiösen Feiertag gleich sollte das säkulare Buch mit einer sakralen Aura umgeben werden: »Diese feierliche Beziehung verlangen wir für das jiddische Buch.« Zweifellos stach das von Yisroel Tikotsinski gestaltete Cover mit den roten Lettern auf silbernem Hintergrund bereits optisch aus der zeitgenössischen Buchproduktion heraus. Indem der jiddische PEN-Club als Garant hoher literarischer und materieller Qualität auftrat, einen besonderen Stellenwert und Unabhängigkeit von kommerziellen Gesichtspunkten für das Buch einforderte und mit der Reihe auch vorlebte, wandte er sich implizit gegen die sogenannte shund-Literatur. Vergleichbar mit Groschenromanen erfreute sich Letztere großer Popularität und wurde zugleich für ihre seichten Motive, vorhersehbaren Wendungen und weniger raffinierte Form und Sprache geächtet. In den 1930er Jahren diskutierte das literarische Milieu des jiddischen Warschaus bisweilen hitzig über die Daseinsberechtigung des Genres. Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller – und das nahm Mitglieder des jiddischen PEN-Clubs nicht aus – waren finanziell jedoch darauf angewiesen, mit dem Verkauf von Fortsetzungsromanen für die jiddische Presse und kurzen Texten auf Bestellung ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Mitgliedsausweis von Isaac Bashevis Singer. Quelle: Harry Ransom Center, The University of Texas at Austin.
Mitgliedsausweis von Isaac Bashevis Singer. Quelle: Harry Ransom Center, The University of Texas at Austin.

Singer, selbst Mitglied des jiddischen PEN-Clubs, erlangte mit Der sotn in Goray ersten literarischen Ruhm in der jiddischen Welt. Der Roman war zunächst 1933 in der von Arn Tseytlin herausgegebenen Monatsschrift für Literatur Globus als Fortsetzungsroman erschienen, ehe der jiddische PEN-Club ihn 1935 in Buchform abdrucken ließ. Hierfür verfasste Tseytlin, der seine literarischen Werke auf Jiddisch und Hebräisch schuf und der Warschauer Abteilung des jiddischen PEN-Clubs von 1930 bis 1934 als Präsident vorgestanden hatte, ein lobpreisendes Vorwort. Die Erscheinungsorte der Reihe wandelten sich im Verlauf der Jahrzehnte; Warschau und Wilno wurden von Paris, New York und Tel Aviv abgelöst. Sie spiegeln die »wandernden Zentren« (Simon Dubnow) des jiddischen PEN-Clubs, dessen Hauptsitz sich nach dem Holocaust von Polen in die Vereinigten Staaten verschob.

Eine zumindest geografisch parallele Bewegung vollzog Singer: 1935 emigrierte er in die Vereinigten Staaten, von wo aus seine Werke ab den 1950er Jahren durch die Übersetzungen ins Amerikanische internationale Bekanntheit erlangten. Für seine Porträts polnisch-jüdischer Lebenswelten wurde er 1978 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet und gehört damit zweifellos zu den bekanntesten jiddischsprachigen Literaten. Da die vom jiddischen PEN-Club in 1 000 Exemplaren herausgegebene Ausgabe schnell vergriffen war, erschien Der sotn in Goray 1943 im New Yorker Verlag Matones in einer Neuauflage, die bis heute die Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen bildet. Dass Singer stets an den Übertragungen mitwirkte und frühere Textfassungen für jede Veröffentlichung überarbeitete, ist in Fachkreisen wohlbekannt und Ausgangspunkt zahlreicher Forschungen zu seiner Schreibpraxis und damit verbundenen Übersetzungsfragen. Vor diesem Hintergrund wäre es durchaus erhellend, die seltenere und bislang weitgehend vernachlässigte Ausgabe von 1935 stärker einzubeziehen und so Singers textuellem wie persönlichem Transfer von Polen in die Vereinigten Staaten nachzuspüren.

Carolin Piorun is researching the history and self-perception of the Yiddish PEN Club. She has been a doctoral candidate at the Leibniz Institute for Jewish History and Culture – Simon Dubnow since 2020 and is funded by the Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk. She has been more intensively connected with Yfaat Weiss since 2018 through her work in the DI’s scientific editorial team and with the beginning of the supervision of the doctoral project | piorun(at)dubnow.de.

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